
Türchen 2 im #zeilenfeueradvent ~ Kritik & Zweifel: Wenn alle sagen: Das darfst du nicht!
Keine Adjektive und keine Adverbien benutzen! Kein Tell! Keine Inquit-Formeln! Auf keinen Fall verschachtelte Sätze! Bitte nur maximal zwei Protagonisten und zwei Antagonisten und dann hat es sich mit der Figurenanzahl auch schon! Du willst noch mehr?! Ne, auf keinen Fall! Das geht gar nicht! Und schreib bloß keine ewig langen Kapitel! Keine Füllwörter! Keine Wortwiederholungen! Generell keine Wiederholungen! Keine Figuren, mit denen sich der*die Leser*in nicht identifizieren kann! Meine Güte, ist das nicht ein bisschen viel Klischee?! Keine überflüssigen Figuren! Fantasy – Ich-Perspektive? Ach du Schande, auf keinen Fall! Nicht zu kompliziert, aber auch nicht zu einfach/eintönig! Und bitte nicht schon wieder New Adult! Das kann ja jeder! Kannst du nichts anderes?
Hand aufs Herz, wer von euch Autor*innen hat keinen einzigen dieser Sätze jemals gehört?
Ich will das gar nicht grundsätzlich über den Haufen werfen und sagen: „Diese Tipps sind Schwachsinn!“
Nein.
Was mich daran stört, ist, dass es oft – zu oft – ein „Das darfst du nicht!“ und kaum oder sehr selten ein „Mach doch stattdessen das“ ist. Es wird keine Handlungsalternative geboten.
Ich stehe für euch jetzt mal mit einem Bein im Autor*innen-Bereich und sage: Das hemmt die Kreativität und fördert Schreibblockaden – gerade bei denjenigen, die ihr erstes oder zweites Buch schreiben und das Gefühl haben, all das in Perfektion umsetzen zu müssen. Es fördert Unsicherheit, die Angst davor, etwas falsch zu machen.
Ich fasse euch dieses ganze „Das darfst du auf keinen Fall!“ mal in einem Satz zusammen: Du darfst auf keinen Fall ohne gesunden Menschenverstand schreiben, sofern(!) du für andere und nicht nur für dich schreibst!
Dein gesunder Menschenverstand sagt dir, dass du keine 30 Figuren auf 300 Seiten abbilden kannst. Er sagt dir, dass du nicht in jeder Zeile eine Inquit-Formel benutzen solltest. Aber er sagt dir genauso, dass es sich bei allen Regeln immer um ein Gleichgewicht handelt, dass davon abhängig gemacht werden sollte, für wen du schreibst.
Manchmal ist „nur für sich schreiben“ und dann „für andere überarbeiten“ auch gar nicht so verkehrt. So schreibt man immerhin irgendetwas, anstatt sich bei jedem Buchstaben Gedanken über die 1000 „Das darfst du nicht!“ zu machen.
Also schnappt euch die Verbote und verstaut sie irgendwo und haltet euch einfach (haha, ja ich weiß) vor Augen: 1. Erstmal einfach schreiben! 2. Beim Überarbeiten die Frage: Für wen schreibe ich? 3. Was sagt mein gesunder Menschenverstand dazu?
Und am Ende eures Schreibprozesses und eurer tausenden Überarbeitungen bin ich ja auch noch da und genau dafür bin ich auch da! Macht euren Job – und lasst mich meinen machen. 😀 Im ersten Durchgang schreibt sich selten ein perfektes Buch. Also schreibt, lasst eurer Kreativität freien Lauf und dann verfeinern wir das Werk gemeinsam!
Hinweis: Versteht mich nicht falsch. Ich will niemanden dumm halten. Im Gegenteil. Ich arbeite selbst sowohl im Lektorat als auch beim Schreiben/Überarbeiten meiner eigenen Texte mit diesen Anmerkungen (biete aber natürlich Handlungsalternativen). Ich denke schlicht und ergreifend, dass Schreiben ein Handwerk ist, was man nicht in der Theorie (also mit diesen 1000 „Das darfst du nicht!“) lernen kann, sondern über die Zeit hinweg erlernt. Meist kann man sich auch nur auf ein, zwei Sachen konzentrieren, muss die verinnerlichen, um sich dann den nächsten Baustellen zuwenden zu können.
Von Anfang an alles auf einmal – das geht meiner Meinung nach zu Lasten der Produktivität.
Also: Nutzt euren gesunden Menschenverstand und den Rest regelt das Lektorat. 😀
Fallen dir noch mehr „Das darfst du nicht!“ ein? Welche Handlungsalternative gibt es? Ich bin gespannt auf eure Erfahrungen und Lösungen!
Liebe Grüße
Raphaela
